In der Literatur lassen sich viele Argumente finden, die den Einsatz digitaler Lehrmittel fordern und rechtfertigen. Eine kompakte Zusammenfassung häufig genannter Punkte liefert Brüggemann:

Die pädagogisch-didaktischen Hoffnungen, die mit der Einführung von Tablets adressiert werden, zielen unter anderem auf eine Verbesserung der individuellen Förderung der Lernenden, Flexibilisierung von Lehr-Lernarrangements, die Etablierung kooperativen Lernens sowie auf den Erwerb und die Förderung einer umfassenden Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler.

(3) Brüggemann 2016:27

Auch wenn sich Brüggemann explizit auf Tablets bezieht, können diese Aussagen auf Lernapps für Tablets, Smartphones oder herkömmliche Rechner gleichermassen bezogen werden. Das Endprodukt ist in jedem Fall ein digitales Medium, dessen Konzeption nahezu identische E-Learning-Konzeptionen fordert. Wie Hoblitz allgemein feststellt, «ist an neu aufkommende Medien oftmals die Erwartung gebunden, das Lernen effizienter zu gestalten» (4), oder, wie Paechter es beschreibt: «Lernen soll schneller, leichter und besser werden» (5).

Im Folgenden sollen die Aspekte der Individualisierung und Lernförderung detaillierter erläutert werden. Diese sind die meistgenannten Vorteile im aktuellen Diskurs. Weitere Faktoren wie das frühestens ab der Sekundarstufe II relevante kollaborative Lernen in Form des Blended Learnings oder das räumlich unabhängige Lernen (M-Learning), werden an dieser Stelle nicht weiter vertieft.

Individualisierung und Differenzierung

Als besonders vorteilhaft werden E-Learning-Angebote im Hinblick auf die Individualisierung und Differenzierung der Lernprozesse betrachtet.

Die heutige Methodenvielfalt, sowie die Arbeit in Partner-, Gruppen-, oder auch Einzelarbeit sorgen für ein unterschiedliches Lerntempo bei den Schülerinnen und Schülern. Digitale Lehrmittel erlauben es, diese Heterogenität aufzufangen und somit einen gleichschrittigen Unterricht zu vermeiden (6). Als vorteilhaft erweist sich diesbezüglich, dass die Anbieter den Markt dafür erkannt haben und seit mehreren Jahren zunehmend qualitative Lernprogramme entwickeln und veröffentlichen. Diese Anwendungen können im Unterricht oder als individuelle Unterstützung für Schüler eingesetzt werden, sei es zur Beseitigung individueller Schwächen oder als optionale Zusatzaufgaben für besonders Interessierte Schülerinnen und Schüler (7).

So postuliert auch Maurer, dass eine Vielzahl an existierenden Apps zur individuellen Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler beiträgt. Ferner unterstützen Tablets seiner Meinung nach das Arbeiten in offenen Umgebungen und geben dabei Anreize zur Differenzierung. Die gute Adaptivität der Apps an unterschiedliche Bedürfnisse und der hohe Individualisierungsgrad sind «ein Aspekt, dessen Bedeutung nicht nur vor dem Hintergrund inklusiven Unterrichts kaum hoch genug bewertet werden kann» (9).

Einen konkreten Anwendungsfall nennen Dräger und Müller-Eiselt:

Statt einem Einheitslehrplan folgt jeder einer eigenen Lernlandkarte, die die verschiedenen Lektionen aus Videos und Übungsaufgaben zu einem persönlich sinnvollen Curriculum verbindet. Eine Softwareanwendung zeigt den Lehrern den Fortschritt der Klasse und weist sie gezielt auf individuelle Schwierigkeiten hin.

(10) Dräger/Müller-Eiselt 2015: 49

Ein weiterer Anwendungsfall wurde am MIT Media Lab erprobt: Während des Lernens wird der Schüler beziehungsweise die Schülerin von einer integrierten Kamera überwacht die den jeweiligen den Gefühlszustand registriert. Wirkt der Lernende oder die Lernende unkonzentriert, genervt, etc. reagiert die Software und unterbricht die Anwendung, stellt eine Kontrollfrage und fährt erst nach korrekter Beantwortung fort. Zudem kann sie Pausen zur Erholung vorschlagen und somit individuell auf die Einzelperson eingehen (11). Es steht nicht die Technik im Vordergrund, sondern ein Wandel der Pädagogik und Methodik. Eine individuelle Förderung jeder Schülerin bzw. jedes Schülers erlaubt es ,diese in der Geschwindigkeit und mit dem für sie beziehungsweise ihn gerade relevanten Stoff, abzuholen. (12)

Lernmotivation & Lernförderung

Ein weiterer Mehrwert von E-Learning betrifft die Herstellung und Erhaltung der Motivation der Lernenden als auch die Förderung verschiedenster Kompetenzen. Dies beginnt bereits auf der Metaebene aufgrund der Tatsache, dass sich eine Lehrperson mit (technischen) Neuerungen jeglicher Art auseinandersetzt und diese in den Unterricht einführt. Die Lehrperson gewinnt somit mehr Autorität bei den Schülern und motiviert sie durch seine Bereitschaft zu eigenem Engagement. Auch Dräger und Müller-Eiselt fordern: «Wenn Lehrer den Kontakt zu ihren Schülern nicht verlieren wollen, weil Tafel, Anschrift und Schulbuch zu weit entfernt sind von Touchscreen, Tastatur und e-Reader, muss neue Technologie in den Unterricht eingebunden werden» (14).

Des Weiteren wirkt sich die Konzeption einer Lernanwendung auf die Motivation des Lernenden aus. Ein Schlüsselwort in diesem Kontext ist Gamification, welches «die Anwendung spiel­typischer Elemente in einem spielfremden Kontext bezeichnet. Zu diesen spieltypischen Elementen gehören unter anderem Erfahrungspunkte, Highscores, Fortschrittsbalken, Ranglisten, virtuelle Güter oder Auszeichnungen. Durch die Integration dieser spielerischen Elemente soll im Wesentlichen eine Motivationssteigerung der Personen erreicht werden, die ansonsten wenig herausfordernde, als zu monoton empfundene oder zu komplexe Aufgaben erfüllen müssen» (15). Kompetitive Herausforderungen, die zum Vergleich mit Freunden anregen oder Trophäen innerhalb der Anwendung sind heutzutage entsprechend in nahezu allen Spielen und vielen Apps implementiert. Auch wenn dies der Idee einer individuellen Betrachtung des Lernenden widerspricht - die als Vorteil von E-Learning gesehen wird - und eine Zuwendung zur Sozialnorm mit sich führt, hat die IT-Industrie dieses Konzept seit Jahren zunehmend integriert. Lempke/Leibner kritisieren diesen Umstand: «Lernen durch Belohnung – das ist das Grundkonzept des Behaviorismus. […] Dabei besteht die Gefahr, dass wir uns nur noch anstrengen, wenn wir schnell in einen Marshmallow beißen dürfen. „Lernende sind angekommen im Käfig der Behavioristen und dürfen zeigen, wie gut sie funktionieren.” » (16).

Gamification wird, trotz der angeführten Kritik, durchwegs auch positiv betrachtet. So «sollen Spiele als Lernmedium kompetenzförderliche Potenziale aufweisen. Insbesondere Educational Games sollen zudem Lerneffekte ermöglichen» (17).

Dennoch hilft, so Dräger und Müller-Eiselt, «gerade den heute Abgehängten der spielerische Ansatz, sich die riesigen Möglichkeiten des digitalen Wissens und Lernens zu erschließen» (18). Nach Hoblitz «fühlt sich ein Drittel der Lernenden durch das Spiel zu weiteren expansiven Lernhandlungen angeregt. Wenn dies der Fall ist, haben die Schülerinnen und Schüler ihrer subjektiven Einschätzung nach auch mehr gelernt» (19).

Als Beispiel für eine Fördermöglichkeit von Schülerinnen und Schülern nennt Krstoski die Graphomotorik inklusive des Schreibenlernens von Buchstaben, für welche sich interaktive Apps als motivierend erwiesen haben. Mit einem Eingabestift und passender App, die beispielsweise die Stiftführung als Animation vorzeigt, können Erfahrungen bei anhaltender Motivation gesammelt werden (20). Darüber hinaus nennt Welling «bei richtigem Einsatz von Tablets, die Möglichkeit, kollaborativ zu lernen und sich dabei in konstruktivistischer Manier gemeinsam Wissen anzueignen» (21).

Insgesamt bietet die Entwicklung der digitalen Lernangebote viele Möglichkeiten, um Schüler beim Lernen zu begleiten, sie zu motivieren, fördern und ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Dabei ist diese relativ junge Form des Lernens aber auch nur ein Weg unter vielen, über den sich Kinder die Welt erschließen und Kompetenzen erlangen. Parallel erkunden sie ihre Umwelt über direkte, unmittelbare Erfahrungen. […] All das lässt sich durch das Lernen mit digitalen Werkzeugen nicht ersetzen, wohl aber begleiten, ergänzen und erweitern.

(22) Lembke/Leipner 2016: 89

Quellenangaben

Querverweise

  • (3) Brüggemann 2016: 27

  • (4) Hoblitz 2014: 277

  • (5) Paechter 2007: 277

  • (6) Aerni/Portmann/Hundertpfund 2014: 29

  • (7) vgl. Moser 2010: 289

  • (8) vgl. Maurer 2016: 2

  • (9) Welling 2016: 18

  • (10) Dräger/Müller-Eiselt 2015: 49

  • (11) vgl. Dräger/Müller-Eiselt 2015: 77

  • (12) vgl. Dräger/Müller-Eiselt 2015: 160

  • (13) vgl. Aerni/Portmann/Hundertpfund 2014: 42

  • (14) Dräger/Müller-Eiselt 2015: 162

  • (15) Wikipedia

  • (16) Lempke/Leibner 2016: 110

  • (17) Hoblitz 2014: 18

  • (18) Dräger/Müller-Eiselt 2015: 86

  • (19) Hoblitz 2014: 26

  • (20) vgl. Krstoski 2015: 64

  • (21) Welling 2016: 18

  • (22) Lembke/Leipner 2016: 89

Literaturangaben

  • Aerni, Christoph, Portmann, Roger; Hundertpfund, Alois (2014). eLehrmittel im Unterricht - ein Leitfaden. Bern: hep verlag ag.

  • Brüggemann, Marion (2016). Aspekte medienbezogener Schulentwicklung bei der Einführung von Tablets In: Merz medien + erziehung 1/2016. S. 26 – 32.

  • Dräger, Jörg; Müller-Eiselt, Ralph (2015): Die digitale Bildungsrevolutio n – Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können. München: Deutsche Verlags-Anstalt.

  • Hoblitz, Anna (2014). Educational Games an der Schnittstelle zwischen informellem und formellem Lernen. In: Merz medien + erziehung 6/2014. S.18 – 27.

  • Krstoski, Igor (2015). Das iPad – im Spannungsfeld zwischen Kommunikationshilfe und Arbeitsmittel. In: Merz medien + erziehung 2/2015. S.60 – 65.

  • Paechter, Manuela (2007). Wissensvermittlung, Lernen und Bildung mit Medien. In: Six, Ulrike; Gleich,Uli; Gimmler, Roland (Hrsg.), Kommunikationspsychologie – Medienpsychologie. Lehrbuch. Weinheim: Beltz. S. 372 – 387.

  • Lembke, Gerald; Leipner, Ingo (2016). Die Lüge der digitalen Bildung- Warum unsere Kinder das Lernen verlernen. München: Redline Verlag.

  • Maurer, Stefanie. Unterricht mit Tablets in der Grundschule – Vorteile und praktische Tipps. [15.10.2016]

  • Moser, Heinz (2010). Einführung in die Medienpädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

  • Welling, Stefan (2016). Besser lernen mit Tablets? In: Merz medien + erziehung 1/2016. S. 16 – 21.

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