Dieser Artikel ist der theoretische Auftakt einer kleinen Reihe zum Thema »Vokabeln lernen«. Ich stelle grundsätzliche Theorien und Strategien vor, mit denen das Lernen von Vokabeln effizient angegangen werden kann.

Der zweite Teil dieser Reihe zeigt 20 Ideen auf, wie Vokabeln gelernt werden können ohne klassisch "vom Blatt zu pauken". Dabei nehme ich Bezug auf die hier vorgestellten Theorien.

Im dritten Teil gehe ich auf den kindergerechten Vokabeltrainer Cabuu ein.

Multisensorische Lerntheorie

Multisensorische Lerntheorie oder auch multisensorisches Lernen. Puh. Das klingt nun erst einmal ziemlich komplex - ist es aber nicht, wenn man es einfach etwas salopper als »Lernen mit allen SInnen« benennt. Im Kern geht es also darum, dass beim Einüben von Vokabeln möglichst viele Sinneskanäle einbezogen werden sollen, um den neuen Wortschatz nachhaltiger im Gehirn abzuspeichern.

Das ist kein explizierter Gegenentwurf zur klassischen Lernform, wie sie vielen noch aus der eigenen Jugend bekannt sein mag: Wort für Wort abschreiben, zigfach im Kopf oder auch laut vorgelesen wiederholen, bis es am Ende irgendwann sitzt. Darum kommt man auch heute nicht herum, aber die Forschung hat vielfach aufgezeigt, wie das Lernen von Vokabeln effizienter gestaltet werden kann.

Gesten und Bilder

Einen besonders großen Einfluss auf das erfolgreiche Lernen hat, nach Erkenntnissen der Wissenschaft, der Einsatz von Gesten. Parallel zum Aussprechen eines Wortes wird mit Händen und Armen der Begriff dargestellt. So beschreibt man beispielsweise eine Wellenform mit einer Hand für das französische Wort »bateau« (Schiff) oder bildet für das englische Wort »house« (Haus) ein Dach aus beiden Handflächen. Wichtig ist dabei, dass man diese Geste selber ausführt und nicht nur gezeigt bekommt.

Ebenso unterstützen Bilder den Lernprozess. Betrachtet man beim Lesen und Sprechen eine passende bildliche Darstellung der Vokabel, so prägt sie sich besser ein. Das Zeichnen des Begriffs hingegen führt nach Lenz interessanterweise zu keiner Steigerung des Lernerfolgs 1.

In beiden Fällen, also dem Lernen mit Gesten oder Bildern, konnte in einer Studie von Mathias et al. (2020)2 ein deutlicher Unterschied zum traditionellen Lernen ausgemacht werden. Nach einem halben Jahr konnten sich die Teilnehmer der Studie besser an die Vokabeln erinnern als Personen die auf klassischem Wege lernten - also ohne zu gestikulieren und Bilder zu betrachten.

Hierbei gibt es jedoch Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen. Während bei Kindern Gesten und Bilder etwa gleichermaßen Vorteile beim Merken versprechen, profitieren Erwachsene vermehrt vom Einsatz von Gesten.

Zu den gleichen Erkentnissen hinsichtlich des Nutzens von Gesten beim Vokabeln lernen kam auch Linda Quinn Allen in ihrer bereits 1995 veröffentlichten Studie „The Effects of Emblematic Gestures on the Development and Access of Mental Representations of French Expressions3.

Hören und Sprechen

Beim Vokabeln lernen sollte von Anfang an darauf geachtet werden die korrekte Aussprache einzuüben. Ansonsten wird es schnell passieren, dass ein eigentlich bekanntes Wort in einem Dialog, einem Film, Hörspiel, etc. nicht verstanden wird, da der korrekte Klang schlichtweg unvertraut ist.

Im Unterricht kann die Lehrperson die Vokabeln vorsprechen. Für das eigenständige Üben bieten viele Lehrwerke begleitends Online-Material oder Vokabeltrainer, die es ermöglichen die Vokabeln vorsprechen zu lassen um sie anschließend nachsprechen zu können. Ebenso bieten die meisten Online-Wörterbücher oder auch Apps für iOS oder Android entsprechende Voice-Over-Funktionen an.

Riechen

So verrückt es klingen mag, auch gute Gerüche haben einen Einfluss auf die Lernergebnisse, wie ein Freiburger Forschungsteam um Knötzele et al. (2023) in einer Studie belegte 4. Die Hälfte der Probanden erhielt Vokabelkarten mit Rosenduft, die andere normales „unduftendes" Papier. Um die Verknüpfung zwischen dem Rosenduft und den Vokabeln während des Tiefschlafs zu reaktivieren, wurde auch die Raumluft während dieser Schlafphase, in der Informationen ins Langzeitgedächtnis gespeichert werden, mit Rosenduft angereichert. In einem Vokabel-Test am Folgetag schnitten die Lernenden mit Rosenduft eindeutig besser ab.

Grundsätzliche Strategien

Bevor ich zu konkreten Lern- und Spielformen zum Vokabeln lernen komme, hier einige grundsätzliche Strategien, die universal anwendbar sind. Nicht jede Strategie funktioniert für jeden Lerntyp gleichermaßen. Hier hilft einfach nur ausprobieren:

  • Arbeitsumgebung: Lerne in einem entspannten Umfeld, in dem Du dich wohl fühlst. Entspannte und ruhige Musik kann helfen. Sorge für gute Lichtverhältnisse, damit Deine Augen nicht ermüden.

  • Feste Zeiten: Plane feste Zeiten ein, zu denen Du lernst. Zum Beispiel immer nach dem Mittagessen, immer nach der täglichen Serie, etc.

  • Durcheinander lernen: Lerne die Wörter nicht immer in der gleichen Reihenfolge, sondern auch einmal von unten nach oben bzw. kreuz und quer durcheinander.

  • Richtung wechseln: Übe nicht nur vom Deutschen zur Fremdsprache hin, oder nur von der Fremdsprache zum Deutschen. Wechsele regelmäßig die Richtung, um flexibel zu werden.

  • Im Kontext lernen: Viele Lehrwerke oder Vokabeltrainer zeigen kurze Sätze, in denen das Wart exemplarisch vorkommt. Ignoriere diese Sätze nicht, sondern lese sie gut durch. Sie liefern wertvolle Zusammenhänge.

  • Fremdsprachen vergleichen: Klingt das Wort in der Muttersprache bzw. in einer anderen bekannten Sprache nahezu identisch und bedeutet auch das Selbe?

  • In Bewegung bleiben: Bewege dich beim Lernen. Sitze nicht einfach, sondern gehe im Zimmer auf und ab.

  • Eselsbrücken bauen: Manche Wörter wollen einfach nicht in Erinnerung bleiben. Versuche deutsche Wörter zu finden, die dir einen Stups in die richtige Richtung geben. So merken sich einige meiner Schüler:innen das französische Wort »quinze [kɛ͂z]« (die Zahl »Fünfzehn«) inzwischen gut, wenn sie dabei an das Wort »Käs(e)« denken.

  • Wortverbindungen kreieren: Lerne Wörter, wenn möglich, nicht nur als einzelnes Wort sondern in einer häufig verwendeten Wortverbindung. Beispiel: Fussball spielen, Volleyball spielen, Tennis spielen, …

  • Monologe ausdenken: Wenn Du bereits einen kleinen Grundwortschatz hast, kannst Du versuchen mit einem neuen Wort einen kurzen Satz zu bilden und dem Wort damit einen Kontext zu geben. Beispiel: «speak» (Englisch: Sprechen). I speakEnglish. I speak German.)

  • Im Alltag übersetzen: Versuche Dinge in Deinem Alltag mit Wörtern der Fremdsprache zu benennen. Holst Du z.B. die Milch aus dem Kühlschrank, sprichst Du beim Herausnehmen den Begriff »le lait« (Französisch: die Milch) laut aus (oder denkst ihn dir im Kopf).

Wie oft und wie viel muss ich lernen?

Wie generell bei Hausaufgaben gilt: Lerne regelmäßig für einen kurzen Zeitraum, anstatt gelegentlich sehr lange. Wiederholungen sind beim Lernen von Vokabeln das A und O.

Für einen Anfänger, der bislang noch nie oder nur selten Vokabeln gelernt hat, sollten es nicht mehr als etwa 5 Vokabeln auf einmal sein, auf den gesamten Tag verteilt nicht mehr als 10.

Mit mehr Routine steigen Gerschwindigkeit und Effizienz beim Lernen und die  Wortrate erhöht sich entsprechend. 50 Vokabeln am Tag sind für sehr geübte Lerner gut möglich. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg und von Grundschülern in der Regel nicht zu leisten.

Das Üben muss allerdings nicht in einem monotonen täglichen Repetieren der gleichen Wörter enden. Ein lohnenswerter und effizienter Ansatz ist das so genannte »Spaced Repetition Learning«, welches ich kurz vorstellen möchte.

Spaced Repetition Learning

Ein Konzept das bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde und auch heute noch in weiten Teilen Bestand hat, ist das so genannte »Spaced Repetition Learning«. Das Prinzip dieser Methode besteht darin, dass neue Lerninhalte zu Beginn in kurzen, danach in zunehmend längeren Zeitabständen wiederholt werden. (So wie einer automatisierten Backup-Routine am Computer. In gewisser Weise macht man ja auch beim Lernen ein Backup des Wissens - damit es nicht verloren geht.)

Diesem zyklischen Lernen liegt die Erkenntnis des deutschen Psychologen Herrmann Ebbinghaus zugrunde, dass das menschliche Gehirn bereits nach etwa 20 Minuten über 40% des Gelernten vergessen hat, nach einer Stunde bereits etwa die Hälfte und nach sechs Tagen bereits um die 60% 5. Eine ganze Menge also in recht kurzer Zeit.

Abb 1.

Wissensverlust

Bereits nach kürzesten Zeitspannen vergisst das Gehirn frisch gelernte Inhalte.

Infografik. Silhouette eines Kopfes.

Durch das Wiederholen des Stoffes in bestimmten Intervallen wird das Wissen nachhaltiger gespeichert, wie die »Vergessenskurve« nach Ebbinghaus zeigt:

Abb. 2

Vergessenskurve

Das blaue Diagramm zeigt, wie viel gelernter Inhalt innerhalb einer bestimmten Zeit vergessen wird. Durch das Repetieren in festen Intervallen wird die Gedächtnisleistung signifikant erhöht, wie die rote Linie zeigt.

Diagramm zeigt den Verlust von Gelerntem nach bestimmten Zeitintervallen.

Auf der Suche nach geeigneten Zeitintervallen stösst man im Internet auf eine Vielzahl unterschiedlicher Vorschläge, die von dem Original aus Abb. 2 abweichen. Persönlich finde ich die Ausführungen von Traverse Link recht nachvollziehbar 6. Die ersten fünf Zyklen werden hier folgendermassen angegeben:

- Tag 0: Erstes Lernen

- 1. Wiederholung: Nach einem Tag

- 2. Wiederholung: Nach einer Woche

- 3. Wiederholung: Nach zwei Wochen

- 4. Wiederholung: Nach einem Monat

- …

Es ist also gut zu erkennen, dass diese Lernmethode keine kurzfristige Lösung ist, sondern das Wissen in einem längeren, dafür aber nachhaltigeren Prozess, aufbaut. Beim Lernen zuhause sind diese Intervalle sicherlich leichter einzurichten, als im Unterricht im Schulalltag, wo eine gute und sinnvolle Strukturierung des Stundenplans notwendig ist.

Einen Beleg für die Wirksamkeit dieser Methode für Grundschulkinder findet sich in einer Studie der Universität von Nigeria (Egara et al.)7.

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